Radio Essen: Darum gendern wir – und zwar so, wie wir es tun

Kaum eine sprachliche Veränderung hat in den letzten Jahren die Gemüter so erhitzt wie das Gendern, die sprachliche Abkehr vom Generischen Maskulinum. Auch Radio Essen hat sich dazu entschieden, dies zu tun. Hier erklären wir, warum wir uns dazu entschieden haben.

© Radio Essen

Radio Essen: Darum gendern wir

Kaum eine sprachliche Veränderung hat in den letzten Jahren die Gemüter so erhitzt wie das Gendern, die sprachliche Anpassung des generischen Maskulinums (Beispiel: „Studenten“) an die weibliche Form (Beispiel: „Studentinnen“). Um beide gleichermaßen anzusprechen, nutzen immer mehr Menschen, egal ob Feminist:innen, Medienschaffende, Politiker:innen oder Privatpersonen eine gegenderte Form (im Beispiel: „Student:innen“). Wir von Radio Essen haben uns ebenfalls damit auseinandergesetzt und uns dazu entschieden, ebenfalls zu gendern. Weil wir wissen, dass diese Entscheidung durchaus kontrovers wahrgenommen wird (so wie wir kontrovers darüber diskutiert und gerungen haben), möchten wir Euch hier unsere Beweggründe erklären.

Was wir hier NICHT können, ist eine Grundsatzdiskussion über Gleichberechtigung, Feminismus und Gendern simulieren. Es gibt nahezu unendlich viele kluge Argumente dafür und dagegen, und wenn man ins Detail geht, findet man immer weitere. Das lässt sich hier nicht zusammenfassen und wir haben als Redaktion auch nicht zu jedem Argument eine gemeinsame Haltung oder Meinung. Deshalb konzentrieren wir uns hier auf die wesentlichen Punkte, die uns zu unserer Entscheidung gebracht haben, in Zukunft auf gendergerechte Sprache zu setzen.

Redebedarf-Spezial: Podcast-Folge übers Gendern

Im Radio Essen-Podcast "Redebedarf" wurde sie schon lange angekündigt: Die Spezial-Folge übers Gendern. Das war aber immer schwierig, denn schon ein ausgewogenes "Setting" war unter den üblichen Beteiligten beim Redebedarf-Podcast nicht möglich: Normalerweise sprechen Joshua Windelschmidt, Tobias Stein und je eines der "wöchentlich wechslnden Weiber" über das, was in Essen und der Welt passiert. So wäre es allein schon unausgewogen, wenn zwei Männer mit einer Frau sprechen.

Die Lösung: Joshua Windelschmidt moderiert als neutrale Person ein Gespräch mit einer möglichst durchwachsenen Gruppe von Beteiligten. Dazu gehören Tobias Stein in Larissa Schmitz, die dem Gendern eher kritisch gegenüberstehen. Teresa Ledabyl und Fabian Schulenkorf hingegen sind der Überzeugung, dass Gendern machbar und sinnvoll ist. Herausgekommen ist eine spannende Debatte, die Ihr hier nachhören könnt.

redebedarf_spezial_radio-essen-podcast_gendern
Diskutieren im "Redebedarf Spezial" übers Gendern (v.l.n.r.): Tobias Stein, Teresa Ledabyl und Joshua Windelschmidt, Larissa Schmitz und Fabian Schulenkorf.© Radio Essen / Kostas Mitsalis
Diskutieren im "Redebedarf Spezial" übers Gendern (v.l.n.r.): Tobias Stein, Teresa Ledabyl und Joshua Windelschmidt, Larissa Schmitz und Fabian Schulenkorf.
© Radio Essen / Kostas Mitsalis
© Radio Essen

Warum gendert Radio Essen überhaupt?

Weil wir zunächst mal alle, ohne jede Einschränkung und Ausnahme, der Meinung sind, dass die Gleichbehandlung von Männern und Frauen ein wichtiges, gesellschaftliches Thema ist. Und weil wir wissen, dass Sprache einen großen Einfluss auf Gesellschaft sowie gesellschaftliches Verhalten und Denken hat. So gehen viele Wissenschaftler:innen zum Beispiel davon aus, dass das generische Maskulinum „Studenten“ hauptsächlich mit männlichen und nicht mit weiblichen Student:innen assoziiert wird. Dabei kann sich auf Dauer im kollektiven Gedächtnis einer Gesellschaft festsetzen, dass hauptsächlich Männer studieren – was weder der Wahrheit entspricht noch die Rolle der Frau in der Gesellschaft angemessen abbildet.

Natürlich ist uns klar, dass gendergerechte Sprache, also eine Gleichberechtigung in der Sprache, nicht sofort zu völliger Gleichberechtigung in allen anderen Lebensbereichen führt. Wenn wir aber durch unsere Sprache einen Teil dazu beitragen können, dass Frauen in unserer Gesellschaft gleichberechtigter wahrgenommen werden, dann möchten wir das tun.

Gendern im Radio – klingt das nicht komisch?

Vielleicht. Vielleicht ist es aber auch nur eine Frage der Gewöhnung sowie der Art und Weise. In der Schriftsprache haben wir uns bei Radio Essen auf eine einheitliche Lösung mit Doppelpunkt geeinigt (dazu später mehr), in der gesprochenen Sprache im Radio gibt es aber eine Vielzahl an Möglichkeiten, gendergerecht zu sprechen. Anstatt des generischen Maskulinums „Studenten“ lässt sich zum Beispiel gendergerecht „Studierende“ sagen oder in der Ansprache beide Formen nennen, also Studenten und Studentinnen. Außerdem geht auch hier die Formulierung „Student:innen“, gesprochen mit einer kleinen Pause an der Stelle des Doppelpunktes, der sogenannten Gender-Gap (auch dazu später mehr). Im Gegensatz zur einheitlichen schriftlichen Formulierung haben wir uns bei Radio Essen darauf geeinigt, dass unsere Sprecher:innen und Moderator:innen die Formulierung nutzen, die ihnen am meisten zusagt.

Warum gendert bei Euch im Radio jeder wie er will?

Sprache ist individuell – genau wie wir. Wer unseren Moderator:innen und Nachrichtensprecher:innen schon mal genauer zugehört hat, wird festgestellt haben, dass alle ein bisschen anders sprechen – weil alle Individuen sind. Jeder hat einen etwas unterschiedlichen Wortschatz, benutzt unterschiedliche Formulierungen, macht unterschiedlich lange Sätze und geht ganz automatisch unterschiedlich mit sprachlichen Trends um (zum Beispiel Jugendsprache), je nach gesellschaftlicher und persönlicher Prägung sowie Vorlieben.

Dem tragen wir auch weiter Rechnung und möchten nicht, dass sich unsere Moderator:innen und Nachrichtensprecher:innen verbiegen. Sie sollen sprechen, wie sie auch im Alltag sprechen und die Sprache nutzen, die ihnen ganz persönlich entspricht. Einzig das gemeinsame Ziel bleibt: Sich der Verantwortung ihrer Sprache bewusst zu sein und Frauen wie Männer gleichermaßen anzusprechen.

Radio Essen im Internet: Gender-Sternchen, Binnen-I oder Doppelpunkt?

Auch über die Form des Genderns in der Schriftsprache haben wir uns bei Radio Essen natürlich Gedanken gemacht. Wer viel liest, wird in den letzten Wochen und Monaten viele unterschiedliche Schriftformen des Genderns gesehen haben. Am häufigsten wahrscheinlich das Gender-Sternchen (Student*innen), das Binnen-I (StudentInnen), die Gender-Gap (Student_Innen) oder den Doppelpunkt (Student:innen). Warum also nutzen wir bei Radio Essen den Doppelpunkt?

Hier ist der Kern eher pragmatischer Natur. Es werden nicht alle gegenderten Worte von Google und anderen Suchmaschinen auch gleich gut gefunden. Der Doppelpunkt ist hier nach aktuellem Kenntnisstand die Variante, die am wenigsten zu Verlusten führt (was für ein werbefinanziertes Privatradio, wie wir es sind, natürlich große Bedeutung hat). Dazu waren wir mehrheitlich der Meinung, dass sich der Doppelpunkt besser lesen lässt und beispielsweise weniger störend erscheint, als die Gap oder das Sternchen, das außerdem von Screenreadern, also Vorleseprogrammen für Texte, oft nicht korrekt ausgesprochen werden kann. Wichtig war uns außerdem die Entstehung einer Lücke, die in der theoretischen Grundlage der Debatte auch das dritte Geschlecht „divers“ einschließt und so nicht nur Männer und Frauen berücksichtigt.

Radio Essen und Gendern - ich habe dazu eine Meinung!

Gendern und warum wir das tun, wird wahrscheinlich auch Thema in einer unserer nächsten Folgen „Redebedarf“, des Radio Essen Podcasts. Wenn Ihr uns dazu Eure Meinung sagen wollt, schreibt uns gern eine Mail: redebedarf@radioessen.de.

Mehr Artikel über die Haltung von Radio Essen

Weitere Meldungen

skyline