Sammler in Essen: Vom Lindenstraßen-Museum zur ersten Briefmarke der Welt

Es gibt viele besondere Sammelleidenschaften bei uns in der Stadt. André Weber aus Holsterhausen sitzt in seiner eigenen kleinen Lindenstraße und Jürgen Witkowski aus Freisenbruch hat die älteste Briefmarke der Welt bei sich zuhause. Und warum? Weil es glücklich macht! Das sagt zumindest Experte Dr. Christoph Koban aus Rüttenscheid.

Radio Essen zu Besuch im Lindenstraßen-Museum

André Weber aus Holsterhausen ist Lindenstraßen-Fan der ersten Stunde. Seine Sammelleidenschaft hat sich allerdings eher kurzfristig ergeben. Am 20. Dezember 2019 fiel die letzte Klappe der Kultserie. Ein trauriger Tag für alle Fans, für André jedoch der Startschuss sich seine eigene kleine Lindenstraße ins Wohnzimmer zu holen. Als bekannt wurde, dass die Serie nach knapp 35 Jahren nicht mehr fortgesetzt wird, kam ihm der Gedanke, dass es doch toll wäre, ein paar Requisiten zu ergattern. Beim Gedanken blieb es nicht und aus ein paar Gegenständen wurden mittlerweile rund 45 Sammlerstücke. Zwei große Produktionshallen sowie ein komplettes Außengelände wurden aufgelöst und unter anderem auf einem großen öffentlichen Flohmarkt angeboten. Aber auch von der Produktion selbst konnte André das ein oder andere Wunschstück ergattern.

Privat-Museum in Essen: Würdiges Andenken für die Lindenstraße

Auf 16 Quadratmetern hat sich André also seine eigene kleine Lindenstraße ins Wohnzimmer gebaut. Er bezeichnet dies als sein kleines Privat-Museum für seine Bekannte, Freunde und natürlich für sich selbst. Es war Andrés Wunsch, der Lindenstraße ein würdiges Andenken zu errichten. Das ist ihm wohl gut gelungen, schließlich befinden sich unter seinen ausgestellten Exponaten einige Raritäten. Als seinen größten Stolz bezeichnet der Essener die originale Briefkastenanlage, welche im Haus Nummer 3 der Serie hing und von der ersten bis zur letzten Folge zu sehen war. Außerdem beinhaltet seine Sammlung unter anderem das NARO-Schild des gleichnamigen Supermarktes, einen Stuhl aus dem Restaurant Akropolis oder ein Kleid der Figur Gabi Zenker. Das Kleid gehört übrigens Andrés Freundin, welche er erst durch die Serie kennengelernt hat und mit der er die Sammlung führt.

Sammlerstücke aus der Lindenstraße

Lindenstraße-Schauspieler zu Besuch in Essen

Bis heute bekommt André Nachrichten von Fans der Serie, die ihm weitere Requisiten für seine Sammlung anbieten. Aber nicht nur die Zuschauer, sondern auch die Schauspieler selbst sind schon auf die Sammelleidenschaft des Holsterhauseners aufmerksam geworden. Sowohl Marie-Luise Marjan als auch Erkan Gündüz haben es sich nicht nehmen lassen, das Lindenstraße-Wohnzimmer aus nächster Nähe zu betrachten. Für diese besonderen Besucher baut André natürlich alles nochmal etwas anschaulicher auf. Normalerweise hat er rund 90 Prozent der Dinge täglich von seinem Sofa aus im Blick. Über diesem Sofa hängt übrigens das Gemälde „Die Menschheit von oben“, welches die Figur Franz Schildknecht in der Serie gemalt hat.

André freut sich immer wieder über den Anblick, wie er im Interview mit Radio Essen Reporterin Madlen Gerick verrät.

© Radio Essen / Madlen Gerick

Essener mit große Sammlung von Briefen und Briefmarken

Jürgen Witkowski präsentiert seine Briefmarkensammlung.© Radio Essen
Jürgen Witkowski präsentiert seine Briefmarkensammlung.
© Radio Essen

Eine weitere besondere Sammlung in Essen hat Jürgen Witkowski. Bei dem leidenschaftlichen Sammler aus Freisenbruch dreht sich alles um Briefmarken, Poststempel und historische Briefe. Los ging alles mit 8 Jahren und Briefmarken mit Tiermotiven. Heute, gut 60 Jahre später, sind es 100-150.000 Briefmarken und 100.000 Briefe. Eine fast schon unglaubliche Anzahl, daher reicht das Zimmer, in welchem wir uns zum Radio Essen Interview getroffen haben, auch bei weitem nicht aus. Die Sammlung ist im Arbeitszimmer, der Garage oder dem Dachboden gelagert.

Heute sammelt Jürgen Witkowski keine losen Briefmarken mehr, er findet ganze Briefe viel interessanter, weil dadurch viele historische und wissenswerte Informationen erhalten bleiben. Seit er 60 Jahre alt ist, hat er die Pflege der Sammlung zu seiner Hauptbeschäftigung gemacht. Dabei handelt es sich um „einen Fulltime-Job“, wie er uns verraten hat. 

Sammlung in Essen: Die erste Briefmarke der Welt

Bei Tausenden von Briefen und Briefmarken sind natürlich auch so einige Besonderheiten dabei. Bei unserem Besuch hat Jürgen Witkowski einen großen Ordner mit einer ganzen Sammlung zu Großbritannien herausgesucht. Großbritannien war das erste Land, das Briefmarken hatte und somit startet die Sammlung auch mit der ersten Briefmarke der Welt, der sogenannten Penny Black. Die entstand im Mai 1840 und zeigt die damalige englische Königin Queen Victoria. Die Marke wurde 68 Millionen mal gedruckt, aber nur wenige davon sind in gutem Zustand erhalten geblieben. Eines dieser seltenen Exemplare befindet sich bei uns in Essen. Für ein Foto beim Interview mit Radio Essen holt Jürgen die Marke ganz vorsichtig und mit einer Pinzette extra aus seinem Ordner.

Sammlung zeigt historische Briefe aus Essen

Die Sammlung beinhaltet aber nicht nur internationale Stücke, sondern auch einige Dinge mit Bezug zu Essen. Vor allem unter den Briefen befindet sich so manches Juwel. So zeigt uns Jürgen beispielsweise den frühsten Stempel, welcher auf dem Essener Stadtgebiet verwendet wurde. Außerdem hat er einen Botenbrief aus der napoleonischen Zeit, der ging an den Bürgermeister von Essen und hält fest, dass die Franzosen nun Werden besetzt haben. „Das sind Dokumente, die jedes Museum mit Kusshand nehmen würde“, so Witkowski. So ist Jürgen unter anderem auf die postgeschichtliche Heimatsammlung Essen gestoßen. Die Sammlung beginnt mit Stücken aus dem Jahr 1761 und enthält „Juwelen, die für Essen-Sammler ziemlich wichtig sind.

Kontakte machen Essener Sammler besonders stolz

Viele Briefe sollen nicht mehr dazukommen. Stattdessen ist Jürgen Mitglied und teilweise auch Vorsitzender vieler Vereine, in welchen gleichgesinnte Sammlerfreunde zusammenkommen. Dort ist es üblich, dass die Sammlerstücke untereinander vererbt werden, auch, damit das Wissen erhalten bleibt. Dabei kommen dann natürlich auch viele Kontakte zu Menschen auf der ganzen Welt zusammen, auf die Witkowski besonders stolz ist. Genauso stolz macht ihn die Mitgliedschaft in der Royal Philatelic Society London, dem ältesten Philatelistenverein der Welt. Den gibt es seit 1869 und das wichtigste Mitglied ist natürlich die Queen. Als nächstes steht für Jürgen Witkowski die Internationale Briefmarkenmesse an, welche er zusammen mit anderen Kollegen organisiert. Die soll im Jahr 2023 rund um Pfingsten in der Messe Essen stattfinden.

© Radio Essen / Mario Arlt

Essener Experte: Sammeln erfüllt Grundbedürfnisse

Laut Experte Dr. Christoph Koban, Psychologe und Psychotherapeut in Rüttenscheid, gibt es Vier Grundbedürfnisse, die darüber entscheiden, was wir im Leben machen. Dabei handelt es sich um das Bindungsbedürfnis, also den Wunsch nach Nähe, Anerkennung und Zugehörigkeit. Dann das Bedürfnis nach Autonomie und Kontrolle, wodurch wir gerne den Überblick und Sicherheit haben wollen. Ein weiteres Grundbedürfnis ist der Lustgewinn, oder auch die Vermeidung von Unlust. Das Vierte Grundbedürfnis ist das nach Selbstwerterhöhung. So setzen wir also unsere Prioritäten.

Sammeln ist etwas "positiv Unvernünftiges" sagen Essener Experten

Bezogen auf die Sammel-Gegenstände ist man laut Koban beispielsweise so stolz auf besondere Exemplare, dass sich dadurch das Selbstwertgefühl erhöht. Wenn man seine Sammlung dann noch mit allein teilen möchte und sich eventuell sogar einer ganzen Gruppe anschließt, erfüllt man damit sein Bindungsbedürfnis. Dabei ist es auch ganz egal, was man sammelt. Aber besonders die eher verrückteren Sammlungen lassen sich dem Lustgewinn zuordnen: „Es ist ja völlig abgefahren und etwas Unvernünftiges, aber es hat auch was spielerisch-kindliches und sorgt für Spaß“, so Koban im Interview mit Radio Essen Reporter Mario Arlt.

Sammler in Essen: Kindheit wird durch Sammeln bewahrt

Es gibt also ganz unterschiedliche Gründe für das Sammeln. Aber es löst auch das ein oder andere in uns aus. Nach jahrelangem Sammeln entstehen Erinnerungen, an Geschichten und Momente. Zudem entstehen Verbindungen zu anderen Personen. Auch die Kindheit spielt bei unseren Sammelleidenschaften eine Rolle. Nach Koban bewahrt man ein Stück seiner Kindheit in sich. Es entstehe ein kindliches Lustempfinden und Glücksgefühl beim Sammeln. Es hat was befreiendes und auch hier verbindet man damit Erinnerungen an die Kindheit und bestimmte Erlebnisse. „Die Pflege von positiven Erinnerungen ist für das eigene Befinden und für die eigene Widerstandskraft sehr wertvoll. Das wird in dieser Gesellschaft, die ständig schnell getaktet nach vorne schaut, auch teilweise völlig vernachlässigt. Dafür ist das Sammeln sehr wertvoll“, sagt Koban, der jedem raten würde, sich etwas kindlich-unvernünftiges zu bewahren.

Sammeln macht Essener glücklich

Sammeln macht also Spaß und wir alle freuen uns, wenn wir unsere Sammlung um ein weiteres tolles Exemplar erweitern können. Daher haben wir Dr. Christoph Koban gefragt, ob Sammeln glücklich macht: „Glück ist etwas Momenthaftes, aber es ist schön zusehen, wenn Augen leuchten“, das seien dann auch reale Glücksmomente. Besonders in Krisenphasen wie der Corona-Pandemie hat das Sammeln „für einige Menschen eine positive Funktion“ gehabt und „es macht dann glücklich“, sagt Koban. Damit hat jede noch so ausgefallene Sammlung seine Existenzberechtigung, selbst wenn sie nicht dem Mainstream entspricht. Bedenklich wird es, wenn man seine Sammlung für sich behalten will, dann sollte man sich fragen, wieso man überhaupt sammelt und ob es einen wirklich glücklich macht. Allen, die aber einer wirklichen Sammelleidenschaft nachgehen, möchte Dr. Christoph Koban noch etwas mit auf den Weg geben, dabei verweist er auch auf einige Frühwahnzeichen.

© Radio Essen / Mario Arlt

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