Straßenstrich in Essen: So läuft die Arbeit der Beratungsstelle vor Ort!

Zum International Sexworkers' Day am Montag (2. Juni) gibt es Führungen über den Straßenstrich in Essen und gleichzeitig auch Informationen über die Arbeit der Beratungsstellen vor Ort. Wir von Radio Essen haben uns dort vorab umgeschaut.

© Madlen Gerick / Radio Essen

Sexarbeiterinnen können in Essen sicherer arbeiten

Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein normaler, leerer Platz. Dann aber fallen die Wohnwagen in einer Ecke auf. Frauen stehen auf dem Platz und warten. Autos drehen ihre Runden. Das ist der ehemalige Kirmesplatz an der Gladbecker Straße in Essen – der Straßenstrich. Hier dürfen Sexarbeiterinnen legal ihre Dienste anbieten. Die Stadt hat den Straßenstrich im Jahr 2009 hier eingerichtet. Vorher war er an der Pferdebahnstraße, einer ganz normalen, für den Straßenverkehr zugelassenen Straße. Dort mussten die Frauen in die Autos ihrer Kunden steigen und mit ihnen auf verlassene Parkplätze oder in einsame Gewerbegebiete fahren. Für die Sexarbeiterinnen war das sehr gefährlich, weil sie dort keine Chance hatten, Hilfe zu holen. Auf dem jetzigen Straßenstrich ist das anders, sagt Meike van Ackern. Sie ist die Leitung der Fachabteilung „Mädchen und Frauen in besonderen Lebenslagen“ bei der Caritas-SkF-Essen.

„Sexarbeit wird halt immer stattfinden – egal, ob wir dafür einen extra Platz haben oder nicht.“

Aber: Zum einen gibt es auf dem ehemaligen Kirmesplatz in Altenessen sogenannte Verrichtungsboxen mit einem Schutzkonzept, sodass die Frauen direkt auf dem Platz arbeiten können. Zum anderen ist dort ein Container aufgestellt – die Heimat der Beratungsstelle StrichPunkt. Diese wird von der Caritas-SkF-Essen zusammen mit der Suchthilfe Direkt, dem Verein zur Hilfe suchtmittelabhängiger Frauen Essen (BELLA DONNA) und dem Gesundheitsamt der Stadt Essen betrieben. Die Mitarbeitenden der Beratungsstelle können die Sexarbeiterinnen so ganz einfach kontaktieren und ihnen helfen.

Beratungsstelle in Essen verteilt kostenlose Kondome

Sobald die Rollläden des Containers hoch sind, wissen die Frauen, dass die Beratungsstelle geöffnet hat. Das ist vor allem – aber nicht nur – abends der Fall. Wer eintritt, steht direkt in der kleinen Küche. Hier schmieren die Mitarbeitenden kostenlose Brote für die Frauen oder bereiten Kaffee und Tütensuppen zu. Wer Hunger hat, kann zugreifen und sich an einen der Tische setzen, die wie in einem Café im Raum verteilt sind. Hier treffen sich die Sexarbeiterinnen in ihrer Pause, um über alles Mögliche zu sprechen. Außerdem bekommen sie pro Tag vier kostenlose Kondome, und wer möchte, kann für einen kleinen Betrag Gleitgel, Feuchttücher oder Zahnbürsten kaufen. Auch Spritzbesteck gibt es hier – für Sexarbeiterinnen, die Drogen konsumieren. Die Frauen können ihr benutztes Spritzbesteck abgeben und gegen neues, steril verpacktes tauschen oder es kaufen. So sorgt die Beratungsstelle dafür, dass Frauen, die abhängig sind, sicher Drogen konsumieren können.

„Es gibt die Option, dass wir die Sachen nicht ausgeben – dann werden die Menschen aber nicht aufhören, Drogen zu konsumieren. Sondern sie werden das einfach mit benutztem Spritzbesteck tun, das sie vielleicht untereinander tauschen oder irgendwo gefunden haben. Dabei werden sie sich Krankheiten zuziehen“, erklärt Maike van Ackern.

Krankheiten will der StrichPunkt aber verhindern. Deswegen kommt auch einmal die Woche eine Ärztin vom Gesundheitsamt der Stadt. Bei ihr können sich die Sexarbeiterinnen auf sexuell übertragbare Krankheiten testen lassen.

Maike van Ackern ist Leitung der Fachabteilung Mädchen und Frauen in besonderen Lebenslagen bei der Caritas-SkF-Essen. © Madlen Gerick / Radio Essen
Maike van Ackern ist Leitung der Fachabteilung Mädchen und Frauen in besonderen Lebenslagen bei der Caritas-SkF-Essen.
© Madlen Gerick / Radio Essen

Beratungsgespräche in Essen auf dem Straßenstrich

Rechts von der Küche gibt es einen kleineren Raum, in dem ebenfalls Tische und Stühle stehen. Hier können sich die Frauen mit den Mitarbeitenden zurückziehen, um über ihre Probleme und Sorgen zu sprechen – wenn sie das möchten. Dann werden sie zu verschiedenen Angeboten beraten, zum Beispiel zu Therapie und Drogenentzug bei konsumierenden Frauen. Frauen, die aus Osteuropa kommen und hier arbeiten, um das Geld an ihre Familien in der Heimat zu schicken, haben oft Fragen zu Aufenthaltsgenehmigungen. Oder sie wollen wissen, wie sie ihre Kinder zu sich holen können.

Es gibt aber auch Frauen, die Sexarbeit nicht als ein notwendiges Übel, sondern als ihre professionelle Arbeit ansehen und stolz darauf sind. Auch ihnen wird zum Beispiel bei rechtlichen und organisatorischen Fragen geholfen, etwa bei der Anmeldung ihrer Arbeit. Entweder helfen die Mitarbeitenden der Beratungsstelle direkt vor Ort oder sie leiten die Frauen an andere Einrichtungen weiter. Wenn es gewünscht ist, zeigt die Beratungsstelle den Frauen auch einen Weg aus der Sexarbeit heraus.

Und natürlich gibt es auch auf dem Essener Straßenstrich Frauen, die gezwungen sind, ihren Körper zu verkaufen, weil sie Opfer von Menschenhandel geworden sind. Für sie gibt es eine gesonderte Beratungsstelle: „Nachtfalter“. Diese ist einmal in der Woche vor Ort und kann die Frauen sicher unterbringen und intensiver unterstützen.

© Madlen Gerick / Radio Essen

Sexarbeiterinnen in Essen warnen sich gegenseitig vor Kunden

Die Beratungsstelle ist für die Frauen auf dem Straßenstrich in Essen also ein Ort der Unterstützung, aber auch ein Treffpunkt zum Austausch und für die Pause. Hier können sie zur Toilette gehen oder sich die Hände waschen, denn lange nicht alle haben einen der zehn Wohnwagen auf dem Platz gemietet.

An einer Wand in dem Beratungscontainer hängen Flyer, auf denen steht, welche Rechte die Frauen bei Razzien haben. „Uns ist es ganz wichtig, die Frauen immer darüber aufzuklären, was ihre Rechte und was ihre Pflichten sind“, sagt Maike van Ackern. Zum Beispiel brauchen die Frauen einen Prostituiertenausweis. Da muss aber nicht der Klarname draufstehen – das muss den Ordnungsbehörden bei einer Kontrolle reichen.

An einer anderen Wand hängen rund zehn handgeschriebene Zettel mit verschiedenen Kennzeichen. Darunter steht zum Beispiel: „Bei diesem Kennzeichen die Polizei rufen und im Container Bescheid geben.“ Die Zettel schreiben die Frauen selbst, um sich vor Kunden zu warnen, mit denen sie keine guten Erfahrungen gemacht haben – etwa weil sie nicht bezahlt haben oder gewalttätig wurden.

„Die Zettel sind jetzt nicht alle super aktuell, die hängen aber auch ein bisschen länger da, weil man nicht weiß, wann derjenige wieder auf den Platz kommt. Früher, als der Straßenstrich noch am anderen Standort war, da wären wir damit gar nicht ausgekommen. Da haben wir ganze Bücher gefüllt mit Warnhinweisen.“
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Alarmsystem in Essen auf dem Straßenstrich sorgt für Sicherheit

Auf dem ehemaligen Kirmesplatz in Altenessen sind die Sexarbeiterinnen besser geschützt. Der Platz ist groß und leer. Es gibt eine Spur, auf der Autos fahren, und drei Unterstände, wo Frauen auf Kunden warten. Keine Büsche, keine Bäume, nur Asphalt. Alles ist einsehbar.

„Egal an welcher Ecke man steht, du kannst halt überall hingucken. Es gibt hier keine versteckten Ecken, keine dunklen Ecken. Und das macht es für die Frauen sehr sicher und für die Kunden sehr unbequem, wenn sie sich daneben benehmen“, sagt Maike van Ackern.

Die einzigen Ecken, die es gibt, sind die der Verrichtungsboxen. Davon existieren drei für Kunden, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad kommen, und zehn für Autofahrer. Die Boxen bestehen aus einem Zaun, der mit Sichtschutz verkleidet ist. In den Fußgänger-Verrichtungsboxen gibt es eine Bank – sonst nichts. Es stinkt nach Urin. Auf einer Seite des Zauns ist ein roter Notknopf befestigt. Den kann die Sexarbeiterin drücken, sollte sich ein Kunde zum Beispiel gewalttätig verhalten. Dann erschallt ein akustisches Signal, und eine Lampe blinkt. Die Polizei wird dadurch nicht alarmiert, aber der ganze Platz bekommt es mit und kann zur Hilfe eilen.

Das gleiche System ist auch in den Auto-Verrichtungsboxen installiert. Hier ist es zusätzlich so, dass der Kunde die Fahrertür kaum öffnen kann, weil der Zaun im Weg steht. Auf der rechten Seite hingegen ist mehr Platz. Die Frau kann die Tür öffnen, den Notknopf drücken und durch einen Durchgang im Zaun auf den Platz flüchten.

Das ist eine von insgesamt zehn Auto-Verrichtungsboxen auf dem Essener Straßenstrich. Sie ist so aufgebaut, dass Frauen bei Gefahr vom Beifahrersitz aus dem Auto flüchten und auf einen Notknopf drücken können. Die Kunden hingegen können auf der Fahrerseite die Tür nicht ganz öffnen, weil die Wand im Weg ist. © Madlen Gerick / Radio Essen
Das ist eine von insgesamt zehn Auto-Verrichtungsboxen auf dem Essener Straßenstrich. Sie ist so aufgebaut, dass Frauen bei Gefahr vom Beifahrersitz aus dem Auto flüchten und auf einen Notknopf drücken können. Die Kunden hingegen können auf der Fahrerseite die Tür nicht ganz öffnen, weil die Wand im Weg ist.
© Madlen Gerick / Radio Essen
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An diesem Donnerstagvormittag um 11 Uhr ist nur eine der Auto-Verrichtungsboxen besetzt. Trotzdem ist hier immer etwas los, sagt auch Maike van Ackern – egal, wie spät es ist. Ständig fahren Autos auf den Platz: Autos mit Firmenlogos, Autos mit leeren Kindersitzen hinten drin, teure Autos, heruntergekommene Autos. „Es ist ein Querschnitt der Gesellschaft, der hier als Kunden rumfährt“, sagt Maike van Ackern. Die Männer fahren ihre Runden, schauen nach einer Frau, die ihnen gefällt. Dann verhandeln sie mit ihr über die Art der Dienstleistung und den Preis. Nur wenn sie sich einig werden, geht es in die Verrichtungsboxen oder den Wohnwagen.

Dieses Bild wird es am Sonntag, dem 1. Juni, nicht geben. Dann ist ein Informationstag auf dem Essener Straßenstrich. Maike van Ackern und ihr Team klären über ihre Arbeit und die Wichtigkeit des Straßenstrichs in dieser Form auf. Interessierte können zwischen 11 und 13 Uhr spontan vorbeikommen und ihre Fragen stellen. Zu jeder halben und vollen Stunde gibt es Führungen über den Platz und durch die Beratungsstelle.

Auch Kunden, die mit dem Fahrrad oder zu Fuß kommen, können die Dienstleistungen der Sexarbeiterinnen auf dem Straßenstrich in Anspruch nehmen. Für sie gibt es drei Fußgänger-Verrichtungsboxen. © Madlen Gerick / Radio Essen
Auch Kunden, die mit dem Fahrrad oder zu Fuß kommen, können die Dienstleistungen der Sexarbeiterinnen auf dem Straßenstrich in Anspruch nehmen. Für sie gibt es drei Fußgänger-Verrichtungsboxen.
© Madlen Gerick / Radio Essen

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