Schwere Pflegemängel in Essen: Belegungsstopp für Heim
Veröffentlicht: Samstag, 18.10.2025 07:00
Ein Pflegeheim in Essen darf keine neuen Bewohnerinnen und Bewohner mehr aufnehmen. Das hat die Stadt angeordnet. Der Grund: Schwere Pflegemängel. Was genau passiert ist.

Belegungsstopp in Essen für Pflegeheim
Im Charleston Wohn- und Pflegeheim im Ostviertel in Essen werden unter anderem die Wunden von Bewohnerinnen und Bewohnern nicht richtig versorgt. Und es gibt Probleme beim Medikamentenmanagement. Das hat die WTG-Behörde (ehemals Heimaufsicht) der Stadt Essen festgestellt. Vorher hatte die Behörde einen anonymen Hinweis bekommen und das Pflegeheim überprüft. Daraufhin hat der Träger des Heims selbst entschieden, erstmal keine neuen Bewohnerinnen und Bewohner mehr aufzunehmen. Am 30. September wurde dann von der WTG-Behörde ein verbindlicher Belegungsstopp ausgesprochen.
Pflegeheim in Essen verlegt Bewohner freiwillig
Das Pflegeheim in Essen hat zusätzlich entschieden, freiwillig einige der Bewohnerinnen und Bewohner auf andere Charleston-Heime außerhalb von Essen zu verlegen. Vorsorglich - "um die Versorgung dort [Anmerkung der Redaktion: in Essen] zu stabilisieren und parallel bauliche Sanierungsmaßnahmen vorzunehmen", schreibt das Heim auf Radio Essen-Nachfrage. Geplant ist, rund die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner zu verlegen. Doch das läuft scheinbar chaotisch ab. So schildert es ein Angehöriger, der anonym bleiben will. Sein Name ist der Redaktion bekannt.
Angehöriger in Essen wird vor die Wahl gestellt
Der Angehörige wurde am 02. Oktober telefonisch über Mängel in dem Essener Pflegeheim informiert. Er versteht es so, dass das Heim geschlossen wird und er die Wahl hat: Entweder er nimmt die demente Frau, um die er sich kümmert, selbst bei sich zu Hause auf, oder er sucht selbst innerhalb von wenigen Tagen ein neues Pflegeheim, oder sie wird in ein anderes Charleston-Pflegeheim verlegt und er muss sich um nichts kümmern. In welche Stadt sie dann verlegt wird, sei allerdings unklar. Im Raum stünden Paderborn, Gütersloh, Münster oder Mülheim.
Die ganze Situation ist ein Schock für den Angehörigen. Alles ist sehr kurzfristig, er wird "vor vollendete Tatsachen gestellt" - so nimmt er es wahr. Deswegen entscheidet er sich für die Verlegung. Aber die Sorgen bleiben. Und überhaupt: Wie soll er seine Angehörige als Vollzeit-Berufstätiger unter der Woche besuchen, sollte sie nicht nach Mülheim verlegt werden, sondern in eine der anderen Städte?
Kommunikation in Essen läuft schlecht
Die Kommunikation mit dem Pflegeheim in Essen läuft schlecht, findet der Angehörige. Das Heim sei für Nachfragen kaum erreichbar. Als er dann doch jemanden ans Telefon bekommt, wird ihm dringend davon abgeraten vorbeizukommen und die Sachen für den Umzug seiner Angehörigen zu packen. Man kümmere sich um alles, der Umzug werde organisiert und er findet schon am 06. Oktober statt - glücklicherweise nach Mülheim.
Chaotischer Umzug von Essen nach Mülheim
Dann kommt der Umzugstag. Die Frau wartet rund eine Stunde draußen ohne Jacke auf ihren Transport - einen gemieteten Sprinter, gefahren vom Haustechniker des Heims. In ihrem Koffer: Lauter Sachen, die nicht ihr gehören. So erfährt es ihr Angehöriger am 07. Oktober von Mitarbeitenden im Mülheimer Pflegeheim, als er die Frau dort besucht und die Verträge unterschreibt. Die Frau ist zu dem Zeitpunkt ohne ihre eigenen Klamotten und persönlichen Gegenstände, wie Radio und Fernseher, in Mülheim.
"Sie sitzt jetzt im Grunde genommen in einem nackten Zimmer mit einem Tisch, einem Stuhl, ihrem Pflegebett, einem Nachtschrank und leeren Kleiderschränken."
Vor Ort erfährt der Angehörige von den Mitarbeitenden auch: Im Pflegeheim in Mülheim weiß man erst am Umzugstag selbst davon, dass zusätzliche Bewohnerinnen und Bewohner kommen. Die Mitarbeitenden seien nett und sehr bemüht, aber auch überfordert mit der Situation, schildert der Angehörige.
Pflegeheim in Essen: "Jede Verlegung erfolgt individuell geplant"
Das Charleston-Pflegeheim will auf Radio Essen-Nachfrage nichts von einem solchen Fall wissen.
"Jede Verlegung erfolgt individuell geplant, in enger Abstimmung mit Angehörigen bzw. rechtlichen Betreuern. Dabei wird selbstverständlich darauf geachtet, dass persönliche Gegenstände und Unterlagen vollständig mitgenommen werden. Angehörige und Betreuer konnten selbstverständlich persönliche Gegenstände mitgeben oder selbst mitwirken. Es gab zu keinem Zeitpunkt eine Anweisung, vom Besuch oder von der Mithilfe abzusehen."
Außerdem seien die Verlegungen "professionell begleitet" worden - logistisch durch Transportunternehmen und pflegerisch durch qualifizierte Mitarbeitende. Und die umliegenden Charleston-Pflegeheime seien auch frühzeitig darüber informiert worden.
Mehrere Hinweise in Essen auf abweichende Informationen
Allerdings sind bei der WTG-Behörde der Stadt Essen schon einige Hinweise und Anfragen rund um die Situation in dem Charleston-Pflegeheim eingegangen. So würden den Angehörigen kurze Fristen für die Umzüge genannt, kein genauer Grund und sie hätten den Eindruck, dass die Behörde zu den Verlegungen aufgefordert habe. Das sei aber ausdrücklich nicht der Fall, so die Stadt Essen. Zwar gebe es in dem Heim schwere Pflegemängel, aber "durch den Einsatz zusätzlichen Personals aktuell keine Gefährdung der Bewohner". Dies habe sich bei einer erneuten Überprüfung des Heims am 09. Oktober bestätigt. Mit dem Träger sei besprochen worden, dass er prüft, wie er Bewohnerinnen und Bewohner sowie deren Angehörige zusätzlich über die Umzüge informieren kann.

Auch bauliche Mängel in Essen im Pflegeheim
Das Pflegeheim in Essen will die Zeit des Belegungsstopps für personelle Veränderungen nutzen, unter anderem wurde schon eine Interims-Leitung eingesetzt. Außerdem sollen die Regionalleitung und das Qualitätsmangement des Trägers das Essener Heim enger betreuen. Das Ziel sei "die Pflegequalität dauerhaft zu sichern und zu verbessern."
Außerdem soll das Heim saniert werden. Hierbei gehe es vor allem um die technische Infrastruktur. Zum Beispiel gibt es bauliche Mängel in der Küche. Die wurde deswegen schon vom Eigentümer der Immobilie auf den Platz vor dem Heim verlegt, in stabilen Containern. Diese erfüllten alle technischen und hygienischen Anforderungen, so das Heim. Außerdem sei die Containerküche nur eine Zwischenlösung.
Behörde in Essen überprüft Heim regelmäßig
Der behördlich angeordnete Belegungsstopp gilt erst einmal bis Ende März. Danach soll das Heim wieder voll belegt werden. Es hat Platz für etwa 130 Menschen, die von rund 80 Mitarbeitenden versorgt werden.
Die WTG-Behörde überprüft das Heim in der Zwischenzeit regelmäßig. Sollte sich die Situation bis März nicht verbessert haben, entscheidet die Behörde, ob der Belegungsstopp verlängert wird und, ob weitere Maßnahmen nötig sind.
"Wir sind mit einem blauen Auge davon gekommen"
Zumindest für den Mann und seine Angehörige hat sich die Situation verbessert. "Wir sind mit einem blauen Auge davon gekommen", sagt er in einem Telefonat mit Radio Essen am 15. Oktober. Die persönlichen Gegenstände der Frau wurden am 08. Oktober geliefert, kurz nachdem er sich zum ersten Mal an Radio Essen gewandt hatte. Wobei nicht alles mitgekommen ist, sagt er. Kleinigkeiten wie die Hausschuhe bleiben verschwunden und mussten neu gekauft werden. Die Mitarbeitenden in Mülheim würden sich sehr engagiert kümmern und die Kommunikation laufe deutlich besser. Trotzdem sei das ganze Chaos noch nicht verarbeitet, vor allem bei seiner dementen Angehörigen:
"Sie sitzt da und versteht gar nicht was los ist. Sie denkt, es hat an ihr gelegen, dass sie weg musste. Das bricht einem das Herz."
Mehr Themen aus Essen
- Mehrere Bahnübergänge in Essen voll gesperrt
- Traditionsgeschäfte in Essen: Lage wird immer schwieriger
- Pflegende Angehörige in Essen: Sorgen, schöne Momente und Selbsthilfegruppen