Pflegende Angehörige in Essen: Sorgen, schöne Momente und Selbsthilfegruppen

Viele pflegebedürftige Menschen in Essen werden von Angehörigen gepflegt. Die werden aber oft vergessen, sind gestresst und einsam. Hilfe kommt von der Caritas.

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Kein Feierabend in Essen für Pflegende

Feierabend? Den kennt Marie (Name von der Redaktion geändert) aus Essen nicht wirklich. Ihr Tag ist von acht Uhr morgens bis elf Uhr abends komplett ausgefüllt. Und auch nachts hört sie immer hin. Eigentlich ist sie komplett auf ihren Mann fixiert. Der ist vor vier Jahren so stark dement geworden, dass er seitdem gepflegt werden muss. Der 77 Jahre alten Marie bleibt kaum Zeit für sich. Ihr Leben als Rentnerin hatte sie sich anders vorgestellt.

Pflegende in Essen: "Ich war einfach nur verzweifelt"

Ähnlich ist es bei Sabine (Name von der Redaktion geändert) aus Essen. Ihr Mann hatte mit 57 plötzlich ein Aneurysma. Er lag längere Zeit im Koma, hat sich ins Leben zurück gekämpft, ist seitdem aber stark pflegebedürftig. Das ist jetzt schon 14 Jahre her. Die Anfangszeit der Pflege hat Sabine aber noch gut in Erinnerung:

"Ich war verzweifelt, einfach nur verzweifelt. Ich hab einfach nur noch reagiert auf Situationen. Ich konnte gar nicht klar denken bis zum nächsten Abend oder so. Ich hab immer nur gedacht, wie überlebe ich jetzt den Tag? Wenn ich morgens im Bett lag, hab ich gedacht, was mach ich jetzt als erstes? Was muss ich heute machen? Das, das, das..."

Mittlerweile hat sie eine Routine entwickelt und nimmt sich sogar Zeit für sich selbst. Wenn morgens der Pflegedienst da ist, geht sie mit den Hunden spazieren. Sie kann ihren Mann aber auch mal für ein paar Stunden im Rollstuhl vor den Fernseher setzen und sich in der Zeit mit Freundinnen treffen. So etwas geht aber nicht bei allen.

Keine Zeit für sich

"Überfordere dich nicht, denk daran, tue auch was Gutes für dich. Dieser Satz ist für mich fast hohnhaft. Ich kann doch nicht anders, ich muss, und ich bin überfordert manchmal", erzählt Marie.

Sie würde sich gerne Zeit für sich nehmen, aber das ist in der Regel nicht drin. Der Alltag fordert zu viel. Da sind die ganzen Dinge, die zu tun sind. Aber auch ständige Sorgen. Die größte Sorge von Pflegenden ist dabei: Was passiert mit der pflegebedürftigen Person, wenn ich nicht mehr kann oder nicht mehr bin? Angnieszka Bitner-Szurawitzki vom Kontaktbüro Pflegeselbsthilfe der Caritas hört diese Sorge immer wieder. Sie steht viel mit Pflegenden in Kontakt, denn sie organisiert Selbsthilfegruppen für sie. Die gibt es in Werden, Rüttenscheid, Stadtwald und Borbeck. Bald soll auch noch eine Gruppe rund um Zollverein dazu kommen.

Agnieszka Bitner-Szurawitzki vom Kontaktbüro Pflegeselbsthilfe der Caritas organisiert die Gruppen für pflegende Angehörige in Essen. © Caritasverband für die Stadt Essen
Agnieszka Bitner-Szurawitzki vom Kontaktbüro Pflegeselbsthilfe der Caritas organisiert die Gruppen für pflegende Angehörige in Essen.
© Caritasverband für die Stadt Essen

Selbsthilfegruppen in Essen helfen

In den Selbsthilfegruppen können sich die Pflegenden über ihre täglichen Herausforderungen und ihre Gefühle austauschen.

"Die Pflegenden können dadurch voneinander lernen, sie geben sich gegenseitig Tipps, sie stärken sich gegenseitig. Und was vielen hilft, ist zu merken, dass sie sich in ihrer Situation nicht alleine befinden."

Marie zum Beispiel hat es geholfen, zu erfahren: Die Wut, die sie spürt, ist ganz normal. Wut auf die Situation. Wut darüber, dass man hilflos ist. Zum Beispiel wenn der Partner hinfällt, und man es nicht alleine schafft, ihn vom Boden wieder hochzuziehen.

Schöne Momente sind die, wenn der Partner lacht

Gleichzeitig ist in den Gruppen aber auch Raum dafür schöne Momente zu teilen. Momente in denen die pflegebedürftigen Partner lachen, wenn man mit ihnen Spiele spielt, mit den Hunden kuschelt, wenn sie wach sind.

"Dann finde ich den Partner nochmal. Das sind aber nur wenige Momente, ich such den immer", sagt Marie.

Erfahrung in Essen wird geteilt

Auch organisatorische Dinge können in den Gruppen geklärt werden. Angnieszka Bitner-Szurawitzki verweist dann auf die passenden Angebote der Caritas. Aber oft haben andere Pflegende auch Tipps, können aus Erfahrung sprechen.

"Das ist auch für mich damals nicht so einfach gewesen, einen Pflegedienst zu organisieren. Dann diese ganzen Hilfsmittel! Dann glaubt man, man hat alles, aber dann fehlt einem noch dieses oder das. Entweder so ein Toilettenstuhl. Oder die Wohnung ist ja nicht auf Behinderung ausgerichtet. Dusche hatten wir, ja, aber ne Badewanne. Ja, wie kommt der in die Badewanne rein? All diese Hilfsmittel herauszufinden, das war alles nicht einfach", erzählt Sabine.

Zusätzlich musste sie sich darum kümmern einen Fahrstuhl im Treppenhaus anbringen zu lassen. Es kamen Statiker, Architekten, sie musste einen Kredit aufnehmen. All diese organisatorischen und bürokratischen Dinge kommen nochmal zusätzlich zu den vielen pflegerischen Aufgaben oben drauf.

So könnt Ihr bei den Selbsthilfegruppen dabei sein

Wie hat eine pflegende Person neben all dem noch Zeit für einen weiteren Termin - die Selbsthilfegruppe?

"Es ist natürlich mit einem zeitlichen Aufwand verbunden Gruppentreffen zu besuchen. Letztendlich sind das aber zwei Stunden im Monat, die wirklich die Menschen sehr stärken können. Sehr viel Kraft und sehr viel Zuversicht schenken können", sagt Angnieszka Bitner-Szurawitzki vom Kontaktbüro Pflegeselbsthilfe der Caritas.

Sie appelliert deswegen an alle Pflegenden in Essen, das Angebot wahrzunehmen. Das ist völlig kostenlos und unverbindlich.

Wer sich über die Gruppen informieren möchte, kann das am Montag (07. September) bei einer telefonischen Sprechstunde von 12 bis 14 Uhr tun. Die Nummern sind: 0201 319 375 350 und 0176 3008 1914. Alle Infos zu den Selbsthilfegruppen, gibt es außerdem hier.

© Madlen Gerick / Radio Essen
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