Essen: Heftige Anschuldigungen gegen Ausländerbehörde

Mindestens vier Monate Wartezeit auf einen Termin, dann noch mal mindestens zwei Stunden vor Ort, Erbrochenes auf den Fluren und verschlossene Türen: Betroffene und Unterstützende erheben schwere Anschuldigungen gegen die Ausländerbehörde in Essen.

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© Radio Essen / Fabian Schulenkorf

Probleme mit der Ausländerbehörde: Keine Willkommenskultur in Essen

Safwat ist 2014 aus Syrien nach Deutschland geflohen. Das war also noch vor dem großen Zuzug 2015. Doch schon damals musste er monatelang darauf warten, einen Termin bei der Ausländerbehörde (ABH) zu bekommen. Als er den dann hatte, musste er wiederum lange auf Dokumente und Papiere warten. Das ist für viele ein Problem: In der Zeit dürfen sie je nach Situation zum Beispiel nicht arbeiten, können keinen Handyvertrag abschließen oder in ihr Heimatland reisen, wenn zum Beispiel eine Verwandte verstorben ist.

Mittlerweile sind Safwat und seine Familie eingebürgert. Deswegen spricht er offen über die Probleme mit der Ausländerbehörde. Andere wollen das wohl nicht, weil sie dann Strafen von der Behörde befürchten. Safwat spricht dabei gut verständliches Deutsch. Schon das sei ein Vorteil, sagt er. Ein Freund von ihm habe schon Konsequenzen aus den langen Wartezeiten gezogen: Er ist nach Remscheid gezogen und hat sich dort einbürgern lassen - innerhalb von nur drei Monaten.

Essen: Ausländerbehörde sei "der schlimmste Ort in Essen"

© Radio Essen

Hilfsorganisationen, Beratungsstellen und Vereine wie Pro Asyl, EvA (Empowerment von Ausländer:innen) oder der Beirat für Flüchtlinge und Migration im Kirchenkreis Essen unterstützen Geflüchtete bei Behördengängen und Problemen mit Ämtern. Feli betreibt ein Hostel, trifft da häufig auf Menschen mit Migrationsgeschichte. Manche von ihnen fragen sie, ob sie nicht als Übersetzerin mit zum Amt gehen könne. So kam es, dass sie sich auch im Vielrespektzentrum an der Rottstraße engagiert und Behördengänge mit Betroffenen macht.

Als ich das erste mal bei der Ausländerbehörde in Essen war, wusste ich: das ist der schlimmste Ort in Essen.

Es war heiß, jemand hatte sich auf dem Flur vor lauter Stress übergeben und das wurde nicht weggemacht, die Bürotüren waren abgeschlossen: So schildert sie einen Besuch in der Behörde an der Schederhofstraße. "Eine Willkommenskultur sieht anders aus", resümieren die Hilfsorganisationen.

Verständnis für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Ausländerbehörde Essen

"Wir haben Verständnis für schwere Umstände wegen Corona. Wir haben Verständnis für überarbeitetes Personal und wir haben Verständnis dafür, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dem Job nicht gewachsen sind", betonen Betroffene und Mitglieder:innen der Hilfsvereine. Man habe aber kein Verständnis dafür, dass es so wenige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gebe, sodass Anträge oft monatelang in den Schubladen liegen, weil die Beamten mit der Bearbeitung einfach nicht hinterherkommen, "während Abschiebungen oft innerhalb weniger Wochen möglich sind", ergänzt Achim Gerhard-Kemper von Pro Asyl.

Vereine aus Essen: Demo und Appell zu Missständen in der Ausländerbehörde

In einem "Appell zu anhaltenden Missständen in der Essener Ausländerbehörde" richten sich rund 40 Vereine und Verbände an die Stadt Essen. In dem Appell richten sie fünf Forderungen an die Stadt Essen (Nähere Ausführungen der Punkte findet Ihr in dem Schreiben auf dieser Seite):

  1. Termine müssen zeitnah vergeben werden 
  2. Die Zettelwirtschaft muss aufhören
  3. Anträge müssen zeitnah bearbeitet werden 
  4. Die Behörde muss erreichbar sein für Fragen 
  5. Eine Willkommenskultur ist überfällig 

Anlass für den Appell ist die Sitzung von einem sogenannten interfraktionellen Arbeitskreis. Der tagt am Freitag (3. September ab 17 Uhr) im Rathaus und darin soll es unter anderem um die Ausländerbehörde gehen. Der wurde vom Integrationsrat ins Leben gerufen, dazu eingeladen hat jetzt Christian Kromberg. Er ist bei der Stadt Essen u.a. zuständig für Organisation und Personalwirtschaft, den zentralen Service und Bürgerservice und das Ordnungsamt. Während drinnen die Politikerinnen und Politiker beraten, tragen die Vereine und Verbände draußen bei einer Kundgebung ihre Forderungen vor. Die Stadt hat sich zu den Vorwürfen auf Radio Essen-Nachfrage bisher (Stand: 1. September) noch nicht geäußert.

Stadt Essen äußert sich zu Vorwürfen gegen Ausländerbehörde

Nachtrag (2.9.): Im Arbeitskreis tagen nicht nur Politikerinnen und Politiker, sondern auch jemand von Pro Asyl, der Fachbereichsleiter 38, Rüdiger Wittkat und seine Stellvertreterin Sonja Helpa. Die beiden leiten die Ausländerbehörde in Essen. Wegen Corona konnte der Arbeitskreis bisher noch nicht tagen. Jetzt wollen die Beteiligten über die Situation der Behörde sprechen, sich austauschen und informieren. Ergänzend dazu gibt es auch den 1. Halbjahresbericht vom Fachbereich 38, also der zentralen Ausländerbehörde, Staatsangehörigkeits- und Ausländerangelegenheiten.

Aus Dem Bericht geht u.a. hervor, dass im ersten Halbjahr 2021 274 Personen für die Ausländerbehörde gearbeitet haben. 39 davon haben Migrationshintergrund und insgesamt sind somit 15 Nationalitäten im Team vertreten. 19 Personen haben die Behörde verlassen, 33 sind dazugekommen, es gibt also jetzt 14 Mitarbeiter:innen mehr.

Mit insgesamt 81284 Anträgen hatten die Mitarbeiter:innen von der Ausländerbehörde im ersten Halbjahr 2021 fast 50% mehr Anträge zu bearbeiten als im gleichen Zeitraum 2020. Damit es nicht bei der aktuellen Situation bleibt, habe man schon einige Maßnahmen ergriffen, sagt die Stadt auf Radio Essen Nachfrage.

Ausländerbehörde: Was die Stadt Essen besser machen will

Das Maßnahmenpaket geht auch aus Halbjahresbericht hervor und beinhaltet:

  • Umsetzung der Ergebnisse aus der Organisationsuntersuchung: Das Publikumssachgebiet wurde in drei Kleingruppen mit je einer Teamleitung aufgeteilt.
  • Verbesserung der Erreichbarkeit der Ausländerbehörde: Das ServiceCenter Essen hat die Hotline übernommen, sodass man kürzer in der Warteschleife hängt.
  • Einrichtung eines "Sonderteams" (sog. Springerpool: Fünf Mitarbeitende sollen die Ausländerbehörde unterstützen.
  • Optimierung Automationsgrad: Zum Beispiel Briefe und Dokumente können jetzt gescannt und so schneller und einfacher weitergegeben werden.
  • Personalgewinnung "Verwaltungswirt Ausländerwesen": Im Herbst 2020 wurde ein Ausbildungslehrgang entwickelt, der am 1. April gestartet ist. Ende Januar starten dann 29 Mitarbeitende in den Praxisteil.
  • Räumliche Situation der ABH: In der Cathostraße 5 konnte die ABH ein weiteres Gebäude beziehen. Am Standort Schederhofstraße konnte so Raum für Neues geschaffen werden.

Forderungen von Pro Asyl und anderen Essener Vereinen

Folgende Vereine, Zusammenschlüsse und Gruppen haben den Appell unterzeichnet:

  • African Ivory Essen e.V.
  • Antirassismustelefon Essen e.V.
  • AStA der Universität Duisburg-Essen
  • Aufstehen gegen Rassismus!
  • AWO Beratungszentrum Lore-Agnes-Haus
  • Beirat für Flüchtlinge und Migration im Kirchenkreis Essen - Pfarrerin Dagmar Kunellis
  • Civan Akbulut – Mitglied im Integrationsrat Essen, Delegierter Landesintegrationsrat NRW
  • Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Essen
  • Deutsch-Kurdischer Solidaritätsverein e.V.
  • Ehrenamt Agentur Essen e.V.
  • Integrationsrat Essen - Jelena Ivanovic – Grüne Internationale Liste
  • Integrationsrat Essen - AED, Hr. Kekec und Hr. Balaban
  • Integrationsrat Essen - Civan Akbulut-Die Linke Internationale Liste
  • Integrationsrat Essen, Essener Migranten Bündnis im Integrationsrat – Mohammed Masri
  • Interkulturelle Assistenz e. V.
  • Iranischer Frauenverein PARTO e.V.
  • Iranischer Kulturverein NEGAH e.V.
  • Iranisches Netzwerk Essen
  • KD 11/13 gGmbH
  • Kettwig hilft e.V.
  • Kultursensible Versorgung mitempathie e.V.
  • Libanesischer Zedernverein e.V
  • M. Schmidt -R. Zwick- Weiglehaus Essen
  • Medinetz Essen e.V.
  • Nedaye Afghan, afghanische Selbsthilfegruppe Essen
  • Ortsgruppe Fridays for Future Essen
  • Plan B Ruhr e.V.
  • ProAsyl/Flüchtlingsrat Essen e.V.
  • Runder Tisch Bergerhausen
  • Runder Tisch Holsterhausen
  • Seebrücke Essen
  • Selbsthilfegruppe iranische und afghanische Frauen mit Trauma, Essen
  • Somali Ostafrika e.V.
  • Studierendenparlament der Universität Duisburg-Essen
  • Syrische Kultur und Integration e. V. Essen
  • Tisch der Tische, Jörg Stadler
  • Vielrespektstiftung, Christoph Zeckra
  • Vielrespektzentrum / EvA
  • Viertelimpuls e.V.
  • Werden hilft e.V.

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